Pascal Schärer - Weg zur EM

Herzlichen Glückwünsch Pascal Schärer zu deiner EM-Qualifikation - wir sind stolz auf dich 💪🏻🥳

 

Der Weg dazu erzählt von Pascal:

Sprint, war da noch was?

Wer sich an meinen ersten Beitrag erinnert, weiss, dass mein grosses Ziel dieser Saison der Weltcup in Uster ist. Doch in letzter Zeit war die Rede nur von finnischem, schwedischem und anderweitigem Wald. Der Weltcup aber wird dann in der Stadt durchgeführt. Spielt das eine Rolle oder ist OL einfach OL? Die einfache Antwort lautet: Ja, das ist eine ganz andere Sache! Die ausführliche Antwort gibt’s nachfolgend.

 

T – 4 Wochen

Nachdem ich von März bis Juni grösstenteils im Wald unterwegs gewesen war, war es nach der Rückkehr aus Skandinavien höchste Zeit, die Waldausrüstung im Schrank zu versorgen und die Carbonschuhe anzuschnallen. Während die Frühlingssaison von Wettkämpfen im Wald bestimmt, ist die kommende Herbstsaison mit Sprint-Wettkämpfen, nämlich den Europameisterschaften in Hasselt (BEL) und dem Weltcup in Uster, gefüllt.

Knapp einen Monat nach dem letzten Trainingstag im Wald standen die Selektionsläufe für die EM als erste Wettkampfserie in der Stadt an. Auf diese legte ich meinen Fokus, denn ich erhoffte mir, mich erstmals für einen internationalen Anlass auf Elitestufe zu qualifizieren. Die Zeit, um den Wechsel vom Wald in die Stadt zu schaffen, war knapp. Es gab viel zu tun - physisch und technisch. Anstelle von Kraft und Ausdauer über 40 bis 110 Minuten waren nun hohes Lauftempo und Wendigkeit während 15 Minuten gefordert und das Navigieren mit dem Kompass quer durch den Wald musste schnellen Entscheidungen weichen.

Aller Anfang ist schnaufend

Um physisch optimal auf diese Selektionsläufe vorbereitet zu sein, verreiste ich während der Wochen 11 bis 14 der SpiSpo-RS zusammen mit den anderen OL-Läufer:innen nach St. Moritz ins Trainingslager. Doch wieso genau dorthin?

Wir führten dieses Trainingslager in St. Moritz durch, um vom Höhentrainings-Effekt zu profitieren. Dem Körper steht bei einem Aufenthalt in der Höhe weniger Sauerstoff zur Verfügung und er passt sich durch eine vermehrte Produktion von roten Blutkörperchen an die veränderten Bedingungen an. Reist man danach wieder ins Flachland, kann der Körper durch diese zusätzlichen Blutkörperchen mehr Sauerstoff transportieren, was die Leistungsfähigkeit erhöht. Das zumindest die Wissenschaft dahinter.

Für mich war es das erste Höhentrainingslager. Die Erfahrung war für mich neu und ich wusste nicht, wie mein Körper darauf reagieren würde. In der Höhe angelangt, verbrachte ich die ersten Tage mit der Akklimatisation und war daher wandernd statt joggend unterwegs. Als ich danach mit den ersten Dauerläufen begann, ging mir aber trotzdem etwas die Puste aus: Um im gleichen Pulsbereich wie im Flachland unterwegs zu sein, musste ich das Tempo um etwa 30 bis 40 Sekunden pro Kilometer drosseln. Und sobald Steigungen kamen, geriet ich ins Schnaufen. Ich bemerkte aber, wie es von Tag zu Tag besser ging, und nach etwa einer Woche hatten sich Puls und Gefühl normalisiert.

Diese Angewöhnungsphase ist der Grund, weshalb man für einen längeren Zeitraum und nicht nur für ein bis zwei Wochen ins Höhentraining verreist. Ist die Akklimatisation abgeschlossen, kann der Trainingsumfang hochgefahren werden. Wir nutzten die Zeit in St. Moritz nicht nur, um mehr Stunden als während des Grundlagentrainings im Winter zu absolvieren, sondern auch, um diese Trainingsstunden sprintspezifisch auszurichten. Schnelligkeit und Routine auf der Sprintkarte standen im Vordergrund. Um keine unnötigen Höhenmeter zu absolvieren - Belgien ist ja bekanntlich flach -, waren wir oft entlang der diversen Seen in und um St. Moritz unterwegs und absolvierten unsere Intervalle auf der Laufbahn, welche direkt vor unserer Unterkunft lag. Das nenne ich einen kurzen Arbeitsweg 😉.

Nicht nur physisch, sondern auch technisch fand eine grosse Umstellung statt. Während es im Wald darum geht, die schnellste Linie unter Berücksichtigung von Steigung und Vegetation auf der Karte zu finden und diese mithilfe des Kompasses im Gelände umzusetzen, ist die Herausforderung im Sprint eine andere. Denn im Vergleich zum Wald kann man nicht durchlaufen, wo man möchte, sondern muss den kürzesten Weg zwischen den Häusern erkennen. Zudem haben wir Läufer:innen deutlich weniger Zeit, um die Entscheidungen zu treffen. Genau dies haben wir bei zahlreichen Sprinttrainings in den Engadiner Dörfern oder am Schreibtisch bei sogenannten «Trockenübungen» trainiert. Bei Letzteren lösten wir Routenwahlprobleme vergangener Sprintwettkämpfe, um Auge und Kopf zu schulen, und unsere Entscheidungen mithilfe der Resultate dieser Wettkämpfe analysiert und ausgewertet.

Die Zeit im Engadin flog nur so vorbei. Während dieser Wochen stand auch ein zweitägiger Abstecher nach Magglingen auf dem Programm: Wir wurden von Rekrut:innen zu Soldat:innen befördert. Die Beförderungsfeier war ein spezieller Tag, an welchen ich mich gerne erinnern werde. Wir zeigten nicht nur, was wir im Militär gelernt hatten, sondern hatten auch die Gelegenheit, den Besuchern unsere Sportarten näher zu bringen. Während des Aufenthalts im Engadin begann ich auch, die Zeit nach der SpiSpo-RS zu organisieren. Ich schrieb mich für das Masterstudium ein, welches ich im September in Teilzeit beginnen werde. Es war eine Herausforderung der anderen Art, ein Curriculum zusammenzustellen, das alle Anforderungen des Studienreglements erfüllt, sinnvoll zusammengesetzt ist und in jedem Semester ungefähr gleich viele Kreditpunkte hat.

Fiktive Reisen nach Belgien

Etwa eine Woche vor dem ersten Selektionslauf reisten wir von St. Moritz zurück nach Magglingen. Dies, um die sogenannte „Period of poor performance“ vor dem ersten Wettkampf durchgestanden zu haben. Denn ein Aufenthalt in der Höhe ist auch nach der Akklimatisation für den Körper eine konstante Stresssituation, auf deren Ende er primär mit einem Durchhänger reagiert - ähnlich wie wenn man nach der Prüfungsphase endlich Ferien hat und erst einmal krank wird. Der leistungssteigernde Effekt des Höhentraining setzt erst sieben bis zehn Tage nach dem Höhentrainingslager ein.

Zwischen dem Trainingslager in St. Moritz und dem ersten Selektionslauf haben wir daher den Trainingsumfang vermindert, damit die Müdigkeit bei Müdigkeit bleibt und nicht zu Krankheit wird. Neben dem Training habe ich in dieser Zeit viel in die Vorbereitung für die Selektionsläufe investiert. Denn besonders beim Sprint zahlt sich dieser Aufwand aus. Mithilfe von alten Karten, Touristenplänen, Street View und GeoGuessr habe ich mir einen Eindruck der verschiedenen Laufgebiete verschafft. Gibt es Stellen der Karte, die schwer zu verstehen sind? Welche Herausforderungen könnte der Bahnleger mir stellen? Wie sehen die Häuser aus? Wie breit sind die Strassen und Wege? Wie sehen Eingänge zu kleinen Gassen aus? Diese Fragen zu beantworten, kann mir in den Wettkämpfen helfen, die Routenwahlprobleme richtig zu lösen und selbst die kleinsten Wege schnell und zielstrebig zu finden.

Belgien-Premiere

Die Selektionsläufe kamen Schritt für Schritt näher und schlussendlich war es am Mittwoch, 30. Juni, so weit. Den Auftakt bildete ein 5000-Meter-Lauf auf der Bahn. In 15:31 durfte ich mich über eine persönliche Bestzeit freuen. Direkt anschliessend machten wir uns auf den Weg nach Belgien für die in und um Mechelen stattfindenden weiteren Wettkämpfe. Insgesamt stand ich am Wochenende in zwei Disziplinen viermal am Start - zuerst jeweils in einer Qualifikation und danach in einem weiteren Lauf. Während ich am Samstag nahezu das Optimum herausholte, unterliefen mir am Sonntag Fehler. Ich wusste, dass mit diesen Leistungen eine Selektion möglich, aber keineswegs selbstverständlich ist. Entsprechend lange kam mir die Zeit bis Dienstagmittag vor, als wir von den Trainern Bescheid über den Selektionsentscheid erhielten. Nach zwei Tagen des Wartens und der Ungewissheit war die Freude umso grösser, als ich erfuhr, dass ich Ende August an meinen ersten Europameisterschaften in einer der Disziplinen starten darf!


Tot snel!

Mit der erfolgreichen EM-Qualifikation habe ich ein grosses Ziel dieser Saison - erstmals bei der Elite international am Start zu stehen - erreicht. Das Training der nächsten Wochen wird nun voll und ganz auf meinen Einsatz an der EM ausgerichtet sein. Die Herausforderung wird es sein, den Formpeak, welchen ich auf die Selektionsläufe ausgerichtet habe, bis zur EM zu halten. Ich freue mich auf jeden Fall auf ein baldiges Wiedersehen mit Belgien. Oder wie die Belgier sagen: Tot snel!

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